D. Heater: Europäische Einheit - Biographie einer Idee

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Title
Europäische Einheit - Biographie einer Idee.


Author(s)
Heater, Derek
Series
Herausforderungen. Historisch-politische Analysen, Band 8
Published
Extent
330 S.
Price
42,50 €
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Heinz Duchhardt, Institut für Europäische Geschichte Mainz

In der inzwischen mit etlichen europäischen Studien „bestückten“ blauen Reihe des Bochumer Winkler-Verlag haben der Reihenherausgeber Wolfgang Schmale und eine Schülerin eine prägnante englische Darstellung der „Idea of European Unity“ in deutscher Übersetzung herausgebracht. Ich unterstelle einmal, dass man dabei vor allem ein nichtakademisches Zielpublikum im Auge hatte – im universitären Bereich sollte die Kenntnis der englischen Sprache an sich (noch?) selbstverständlich sein. Oder ist auch das schon mit einem Fragezeichen zu versehen?

Wie auch immer: Derek Heaters 1992 erschienenes Buch, in der (im übrigen geglückten und gut lesbaren) Übersetzung mit einem originellen, aber nicht abwegigen Untertitel bedacht, hat es sicher verdient, einem größeren Publikum nahegebracht zu werden. Das betrifft weniger die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Teile, wiewohl auch hier schon eigene Wege beschritten werden, indem nach Möglichkeit zwei Autoren, die in etwa zeitgleich geschrieben haben (Dubois und Marini/ Georg von Podiebrad, Penn und Bellers, Saint-Pierre und Rousseau), zusammen behandelt und miteinander verglichen werden, oder indem relativ ausführlich auf die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte des betreffenden Werkes eingegangen wird. Dieser reizvolle Vergleich ließ sich zwar nicht immer durchhalten – Sully und Saint-Simon blieben ohne „Partner“ –, aber gerade hier scheint mir ein Ansatz zu liegen, der über etliche ältere, im Prinzip vergleichbare Studien wie die von Rolf Hellmut Foerster (1967) deutlich hinausgeht.

Die eigentliche Legitimation der Übersetzung aber liegt darin, dass Heater den zeitgenössischen politisch-gesellschaftlich-kulturellen Hintergrund, aus dem heraus die Studien entstanden, viel kräftiger ausleuchtet als die Vorgängerarbeiten, ob sie nun von Hay, Dawson, Barraclough oder von Autoren anderer Nationen stammen. Und die zweite Besonderheit dieser Studie Heaters – über dessen akademische Karriere und sonstiges wissenschaftliches Œuvre man gerne etwas erfahren hätte – liegt darin, dass die dem 20. Jahrhundert gewidmeten Kapitel (6 – 7) von einer großen Dichte und Prägnanz geprägt sind, was eine entsprechende Kenntnis der Quellen voraussetzt, und darin, dass hier der offiziösen und offiziellen Haltung Großbritanniens ein besonderes Augenmerk geschenkt wird. Der Inselstaat ist, wie bekannt, längst nicht immer ein Vorreiter europäischer Integrationsprozesse gewesen (und von manchen Autoren wie Coudenhove-Kalergi ausdrücklich von ihnen ausgeschlossen worden), aber das macht es nur noch um so reizvoller, die innerbritische Diskussion etwa zum Briand-Memorandum zu verfolgen oder die spezifischen Beziehungen der Gründerväter der EWG zu Großbritannien nachzuvollziehen.

Die Lektüre des Buches lohnt aber auch deswegen, weil hier ein Autor einmal à fond über die verschiedenen Antriebskräfte und Motivationen, sich publizistisch mit „Europa“ zu beschäftigen oder die Einigung des Kontinents politisch zu betreiben, nachdenkt. Insofern kann man der Empfehlung des Herausgebers, die Lektüre vielleicht sogar mit dem abschließenden Kapitel 8 zu beginnen, einiges abgewinnen.

Die beiden Herausgeber haben den wissenschaftlichen Apparat Heaters in allen Fällen überprüft, z. T. Korrekturen und Ergänzungen angebracht und, allerdings verständlicherweise nicht flächendeckend, auf Neuerscheinungen seit der Erstpublikation hingewiesen; die Ergänzungen sind in vielen Fällen auch notwendig gewesen, weil Heater deutsche Forschungsliteratur, wenn überhaupt, nur mit ganz spitzen Fingern herangezogen hat. Dass bei dieser gründlichen Durchsicht das eine oder andere übersehen wurde – der Friedenskongress zur Beendigung des Neunjährigen Krieges fand in Rijswijk, nicht in Rijkswijk (S. 79, 82) statt, der S. 173 erwähnte Publizist hieß Geyl (Gayl), nicht Gegl –, tut dem Gesamteindruck keinen Abbruch.

Gesamtdarstellungen der europäischen „Idee“ haben es schwer, weil das Quellencorpus bekannt ist (und nicht mehr anwächst) und in dieser oder jener Form über jeden Autor und jede europäische Bewegung schon viel gesagt worden ist. Heaters opus zeichnet sich gegenüber Vorgängerarbeiten dadurch aus, dass es originelle Wege (Vergleiche zweier zeitnaher Autoren) beschreitet, den Hintergrund und die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der einschlägigen Schriften heller ausleuchtet und bei den Prozessen im 20. Jahrhundert die englische Komponente besonders gewichtet. Wenn das Buch also in seiner englischen Version seine Leser noch nicht gefunden haben sollte: die deutsche lohnt die (neuerliche) Lektüre allemal.

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17.02.2006
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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